Autorin: Anna-Lena Orth (pro familia)
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Dieser Beitrag soll einen groben Überblick über körper-, und identitätsbezogene Entwicklungsschritte von Kindern bis sechs Jahren geben. Die angegebenen Altersspannen sind an der Theorie der psychosexuellen Entwicklung von Sigmund Freud orientiert und durch diverse Theoretiker weiterentwickelt. Sie können bei der Zuordnung bestimmter Beobachtungen oder Fragen aufwerfender Erfahrungen hilfreich sein, müssen aber unbedingt dynamisch verstanden werden. Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo, was ebenso für andere Entwicklungsbereiche, wie der Motorik, dem Laufen lernen oder der Sprach-, und Ausdrucksfähigkeit gilt. Es ist auch bekannt, dass manche Entwicklungsschritte ‚später‘ einsetzen, wenn vielleicht gerade ein anderer Entwicklungsschritt umso präsenter ist.
(I) 0-2 Jahren
Im ersten Lebensjahr ist der Mund die Quelle sinnlicher Lust oder auch Unlust, weshalb man auch von der oralen Phase spricht. Es ist bekannt, dass zum Beispiel der Schnuller eine beruhigende Wirkung hat, da er an die Brust der Mutter erinnert und dadurch auch ein Bindungsgefühl beziehungsweise Sicherheit weckt. Auch das Verlangen körperlicher Nähe, am besten mit direktem Hautkontakt, lässt sich bereits als sinnliches Lustempfinden beschreiben, welche Geborgenheit vermittelt und zur Ausbildung des Urvertrauens nötig ist.
Kinder haben in diesem Alter auch schon ein ausgeprägtes Selbstempfinden, was bedeutet, dass sie ebenso durch Gefühle wie Interesse, Ekel, Freude, Traurigkeit etc. beeinflusst werden. Damit hängt zusammen, dass auch ein Gedächtnisvermögen schon vorhanden ist. Es wird zwar erst später beispielsweise durch die Sprachfähigkeit ausreifen, aber bereits in diesem Alter wird das Gedächtnis durch körperliche Erfahrungen geprägt. Es ist davon auszugehen, dass die (elterliche) Reaktion auf die Bedürfnisse (zum Beispiel Wertschätzung, Wahrnehmung, Ablehnung) und auf den Körper (zum Beispiel Berührungen oder auch Benennung und Nichtbenennung von Körperteilen) des Kindes im Körpergedächtnis abgelegt werden und somit schon Einfluss auf das später bewusste und vor allem positive Körperempfinden nehmen.
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(II) 2-3 Jahren
Es beginnt langsam die Wahrnehmung von Geschlechtsunterschieden und der eigenen Geschlechtszugehörigkeit. Manche Kinder neigen dann auch dazu Personen gleichen Geschlechts stärker nachzuahmen. Mit der Entdeckung von Unterschieden spielen für Kinder oftmals die Genitalien eine große Rolle und durch die Andersartigkeit durchaus die Genitalien anderer Menschen (Geschwister, Eltern, Freund*in). Es werden untereinander daher gerne Doktorspiele gespielt. Auch noch in späteren Jahren. Beim Erkunden ihres eigenen Genitals, kann es auch im Kindesalter durch eigene Berührungen zu der Entdeckung wohler Gefühle und dadurch bewussten Selbststimulation kommen. Denn die Geschlechtsorgane sind seit ihrer Entstehung orgasmusfähig.
Da Kinder noch nicht wissen, dass dieses Verhalten nicht in die Öffentlichkeit gehört, kann man ihnen natürlich Grenzen setzen, sollte aber womöglich eine Alternative bieten (z.B. „Wir möchten nicht, dass du das machst während wir am Tisch sitzen. Du kannst das tun wenn du deine Ruhe hast und allein bist.“), statt es komplett zu unterbinden. Ein Verbot würde sonst eine negative Assoziation in dem Kind hervorrufen, die es im Zusammenhang mit dem eigenen Körper nicht erfahren sollte. Da sie die Selbstbefriedigung entspannend erleben, nutzen manche Kinder dies auch zum Abbau von Stress.
Etwa mit dem dritten Lebensjahr gewinnen Kinder die Kontrolle über den Schließmuskel und somit über ihre Ausscheidungen, weshalb man auch von der analen Phase spricht. Wann ein Kind ‚sauber‘ ist, soll unbedingt durch sein Tempo bestimmt sein, da zahlreiche körperliche und kognitive Fähigkeiten dazu ausgebildet sein müssen. Dieser Prozess kann nicht durch Erziehungsmaßnahmen beschleunig werden. Für das Kind ist das bewusste Halten und Loslassen die erste und damit bedeutende Machterfahrung, weshalb manche Kinder auch Stolz empfinden und ihre Ausscheidung auch mal zeigen wollen. Auch auf der psychischen Ebene werden diese Macht-, aber auch Ohnmachtserfahrungen gelebt. Während sie zum Beispiel durch den Toilettengang Selbstständigkeit / Selbstwirksamkeit erleben, wollen sie nun immer mehr eigene Entscheidungen treffen und üben sich somit auch in der Abgrenzung anderer Personen (Autonomiephase). Betrifft dieser Entscheidungswille jedoch einen Lebensbereich in welchem Kinder schlichtweg noch auf Hilfe angewiesen sind, können sie im schnellen Wechsel von Macht in Ohnmacht fallen und dadurch auch Verzweiflung erleben. Durch diese Vermischung spielt die Reaktion der Erziehungspersonen eine bedeutende Rolle, da sich das Kind dort nach Orientierung sucht. Erlebt das Kind Zuwendung und Verständnis für dieses Verhalten, kann sich dies in der Identitätsentwicklung selbstwertstärkend auf das Kind auswirken, während Ablehnung hingegen krisenhaft erlebt wird und eher Selbstzweifel provoziert.
(III) 3-4 Jahren
Das Bewusstsein über die eigene Geschlechtlichkeit festigt sich. Kinder nehmen vermehrt die geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen von außen war und erproben dies gern spielerisch im Vater-Mutter-Kind-Spiel, Verkleiden und so weiter. Es wird auch gern mal mit der Rolle des anderen Geschlechts gespielt (zum Beispiel Jungen wollen auch mal Röcke oder Nagellack tragen oder Mädchen in der Bauecke spielen …), was manche Erwachsenen / Eltern verunsichert. Dennoch sollte man ihnen diese Freiräume unbedingt ermöglichen, da Geschlechterrollen und Zuschreibungen (jenseits biologischer Merkmale) durch die Beeinflussung gesellschaftlicher Erwartungen / Vorstellungen (Sozialisation) erst erworben werden. Durch Beobachtungen, Ausprobieren und Nachahmungen festigt sich ihr Bewusstsein über die eigene Geschlechtsidentität und sie begreifen, dass Geschlecht nicht veränderbar ist. Diese Erkenntnis lässt transidente Kinder oft zum ersten Mal spüren, dass sie ihre Gefühle / ihr Identitätsempfinden nicht mit ihrem Körper in Einklang bringen können. Äußert also ein Kind über längeren Zeitraum zum Beispiel den Wunsch, dass es lieber ein Junge / Mädchen sei, oder man macht als Erziehungsperson die Beobachtung, dass das Kind verunsichert oder verzweifelt scheint, ist dies unbedingt ernst zu nehmen. Man sollte umso sensibler sein, welche Rollenzuschreibungen man (unbewusst) vermittelt.
(IV) 4-6 Jahren
Das Kindergartenalter ist auch als Fragealter bekannt. Aus gleicher Motivation, aus der sie wissen wollen warum Pflanzen Wasser brauchen, stellen sie sich zum Beispiel auch die Frage, wie Babys gemacht werden. Doch sie können nicht abschätzen, dass die Beantwortung dieser Frage für viele Erwachsene schambesetzt ist und wiederum Fragen aufwirft, wie: Kann ich mit einem Kind schon darüber sprechen? Und wie? ... Der Versuch ein tieferes Verständnis von Sexualität zu bekommen verleitet manche Kinder zur sexualisierten Sprache oder auch Fäkalsprache. Man kann den Kindern hier zwar klare Grenzen setzen, man sollte aber auch die Möglichkeit eines Kontaktwunsches in Betracht ziehen. Gerade bei sexualisierten Schimpfworten ist Kindern oft die Bedeutung nicht klar, weshalb es hilfreich ist, sie in altersgerechter Sprache zu erklären. Da Kinder nun auf kognitiver Ebene mehr leisten indem sie ihre Umwelt durch Fragen und Informationen begreifen, lässt sich oft ein Abstand zu der Körperfaszination und dem Erkunden von Körpern beobachten. Es entwickeln sich in diesem Alter oft innige Freundschaften, die auch mit ersten Liebesgefühlen verbunden sein können.